Ich habe viele Jahre alles dafür getan, um zu dem Menschen zu werden, den ich sein wollte, bis ich eines Tages erkannte, dass ich einfach Mensch bin. Einfach Mensch, weil ich kein Fabelwesen bin. Und einfach Mensch, weil ich es gerne einfach mag; oft so einfach, dass es für andere schon wieder kompliziert ist.

Das Verstehen von Menschen ist meine Leidenschaft, sie fasziniert mich und manchmal zermürbt sie mich auch. Immer wenn ich denke, den Menschen verstanden zu haben, dann erkenne ich zugleich seine hohe Komplexität, und mir wird klar, wie wenig ich doch über das „Wesen Menschen“ weiss. Da das Aufgeben nicht zu meinen Stärken gehört, beginne ich so in der Regel wieder von vorne und stelle mir die Frage: „Wer ist der Mensch?“

Wir Menschen sehen uns gerne als Individuen. Kein Mensch ist so wie der andere, aber ich nehme wahr, dass wir uns oft trotzdem gleich oder ähnlich sein wollen. Manche Menschen behaupten zu wissen, wie Menschen sein müssen und reden trotzdem vom Individuum.

Menschen werden von Menschen gemacht, und damit meine ich nicht nur den biologischen Akt, sondern primär die Entwicklung der Menschen durch die Erwartungshaltung von anderen Menschen. Die Menschen müssen einem von Menschen gemachten System folgen, das wiederum immer mehr Menschen erschöpft. Das ist im Westen nicht anders als im Osten und im Norden nicht besser als im Süden. Die ganze Weltordnung und Teile deren Natur sind von Menschen gemacht, und nicht wenige sind damit überfordert.

Ich habe die Beobachtung gemacht, dass Menschen, die materiell bessergestellt sind, oft zu wissen glauben, was andere brauchen. Menschen im materiellen Überfluss stellen sich nicht die Frage, was der Mensch braucht, sondern bestimmen, wovon er wie viel haben oder nicht haben soll. In der Sozialhilfe zum Beispiel, entscheidet das Recht und die Wissenschaft, welche materiellen Güter einem Menschen als lebensnotwendig zustehen.

Aber sind es wirklich nur die materiellen Dinge, die den Menschen am Leben erfreuen, fordern und fördern? Wie ist es mit sauberer Luft zum Atmen und sich frei n der Öffentlichkeit bewegen zu dürfen? Was ist mit unseren eigenen Entscheidungen, unserem Bauch- und Herzgefühl und der Zeit um unseren Gedanken und Ideen zu folgen?

Der Mensch braucht meiner Meinung nach unbedingt mehr als nur materielle Dinge, um in der Welt überleben zu können, aber gibt er diesen Wahrnehmungen auch genügend Raum, um sich selbst als Mensch zu erfahren? Jeder Mensch hat ab seiner Entstehung im Mutterleib eine eigene Prägung durch Erziehung und Rahmenbedingungen, die ihn zu dem macht, was er ist respektive wird. Was wäre, wenn diese Prägung mit einer Taste ausgeschaltet werden könnte? Dann wäre der Mensch einfach ein Wesen, das sich in der Natur der Welt zurechtfinden müsste. Wäre ein solches Menschenleben schlechter, als das Leben im Überfluss von Konsum? Wenn der Mensch so aufwachsen und leben dürfte, indem ihm alles zur Verfügung steht, er sich aber nur das nimmt, was er wirklich will? Würde ein Mensch dann nach den Schulbüchern, der Schokolade und der Modezeitschrift greifen oder würde er zu Fuss quer durch die Welt gehen, diese in all ihren Facetten kennenlernen und sich von dem ernähren was ihm die Natur zur Verfügung stellt?

Würde sich der Mensch dann für ein möglichst langes, erfolgreiches Leben entscheiden oder für ein intensiv gelebtes Leben, in dem er sich selbst mit dem Herzen kennenlernt?

Was und wer wäre der Mensch, wenn er ohne Verpflichtung und ohne Erwartung auf dieser Welt leben dürfte?

Ich fände es nett, wenn wir Menschen einfach mehr Mensch statt Systemverwalter und Systemverwalterinnen wären.

Mensch