Warum sind wir, wie wir sind? Warum tun wir, was wir tun? Warum gehorchen wir einem System, das uns eigentlich überfordert? Warum gefallen wir anderen und nicht uns selbst? Warum suchen wir die Liebe Fremder und lieben uns nicht selbst? Warum arbeiten wir? Warum haben wir Angst vor dem Tod? Warum wollen wir Leistung erbringen und geniessen nicht den Moment?
All diese Fragen – und noch viele mehr – gingen mir in einer Zeit durch den Kopf, in der die Welt wegen eines Virus‘ stillstand.
Ich habe die Antworten auf diese Fragen nirgends gefunden, also habe ich begonnen, mir selber Gedanken dazu zu machen und mich dabei als Mensch neu kennengelernt. Manch einer könnte sagen, mit knapp 37 Jahren sollte man sich doch eigentlich kennen, doch ich behaupte, dass das die wenigsten tun.
Der Grund dafür ist in meinen Augen, dass der Mensch auf dieser Welt ab dem ersten Atemzug primär mit Leistung und Können statt mit Sein beschäftigt ist.
Kaum geboren, wird das Kind gemessen und gewogen, beobachtet und untersucht, es muss den Vorgaben entsprechen, die einst von Menschen als Massstab bestimmt wurden. Ab der ersten Minute seiner Existenz wird das kleine Menschlein verglichen und auf das Funktionieren in unserer Welt vorbereitet. Es wird erwartet, dass es nach einer bestimmten Anzahl Monate lächelt, krabbelt und Zähne kriegt, sonst passt es nicht und wird passend gemacht.
Wenige Jahre nach seinen ersten Schritten wird es auf den Schulweg geschickt. Das Menschlein hat in den ersten Lebensjahren eine riesige Leistung erbracht: So viel, wie es bis dahin gelernt hat, wird es in den kommenden Schul- und Bildungsjahren nicht mehr lernen. In der Schule angekommen, wird das nun schon etwas grössere Menschlein nach Leistung bemessen, dies entweder mit Adjektiven wie „gut“ und „schlecht“ oder mit Zahlen von 1 bis 6. An die Benotung und die Beurteilung muss sich der heranwachsende Mensch schnell gewöhnen: Spätestens ab jetzt geht es bis zur Pensionierung (und vielleicht darüber hinaus) nur noch um Können oder Nichtkönnen.
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“, ganz nach diesem Motto muss der noch junge Mensch Zahlen, Fakten, Geschichten, Grammatik, Fremdsprachen und die ganze Welt als System verstehen. Ich selbst hatte für das „System Welt“ in der Schule keine Zeit und musste mich um anderes kümmern. Deshalb dauerte es auch etwas länger, bis ich zum Studium kam.
Ist die obligatorische Schulzeit vorbei, so beginnt der „Ernst des Lebens“. Jedenfalls haben es meine Eltern immer so genannt. Wobei sie mir das auch bereits beim Eintritt in den Kindergarten und in die Schule gesagt haben. Heute blicke ich zurück und bin überzeugt davon, dass der sogenannte Ernst des Lebens doch eigentlich bereits ab dem Zeitpunkt der Geburt und in den darauffolgenden Jahren beginnt. Der junge Mensch, oft noch nicht einmal volljährig, geht seine ersten Schritte im System der Arbeit. Alles, was bisher geschah, diente der Vorbereitung auf diesen Schritt, damit der Mensch diesen Übergang auch ja nicht vermasselt.
Jahre später steht der Mensch (hoffentlich) mit beiden Beinen fest im Berufsleben, verdient ordentlich Geld, zahlt Steuern, spart für die Altersvorsorge, hat wenig Arbeitsausfälle, ist gesund und eine verlässliche und treue Arbeitnehmerin resp. Arbeitnehmer. Spätestens bei der Pensionierung sollte der Mensch auf ein erfülltes Leben mit eigener Familie, langjähriger Beziehung, Eigenheim, Reisen rund um die Welt, einen Haufen Geld, freiwilliges Engagement und vielseitige soziale Kontakte zurückblicken können. Kann er das nicht, so wird er bedauert oder gerät nun in Stress, weil er dies doch noch alles nachholen sollte, da er während des gesamten Berufslebens zu erschöpft war, um das Leben wirklich zu geniessen. Der Mensch hat in seiner Hektik und bei all seinen Lebenspflichten vergessen, einfach Mensch zu sein!
Dieser „Kurzdurchlauf“ eines Menschenlebens trifft bei weitem nicht auf jeden Menschen zu. Ich wage aber zu behaupten, dass sich jede und jeder in mindestens einer Aufzählung wiedererkannt und jeder Mensch sich mit Sicherheit mindestens einmal im Leben gefragt hat: „Was mache ich hier?“ Diese Frage hat mich persönlich so sehr beschäftigt, dass ich den Blog und die Beratung einfach Mensch zu einem Teil meines Lebens gemacht habe.